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zu Politik und Recht

Eugen David

Schweizer Schwerpunkte
für den UNO-Sicherheitsrat

Die Schweiz und Malta sind am 9. Juni 2022 von der UN-Generalversammlung in den UN-Sicherheitsrat gewählt worden. Die beiden Länder nehme für die Jahre 2023/24 die zwei nicht-ständigen Sitze der Western European and Other States UN-Group (WEOG) ein.

Schwerpunkte

Nach der Wahl hat der Bundesrat am 31. August 2022 die „Schweizer Schwerpunkte für den UNO-Sicherheitsrat“ veröffentlicht.

In den Medien finden sich dazu kaum Äusserungen.

Der Bundesrat will laut seiner Mitteilung im Sicherheitsrat

  • die aussenpolitischen Werte und Interessen der Schweiz vertreten,
  • nachhaltigen Frieden fördern,
  • die Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten schützen,
  • die Folgen des Klimawandels auf die Sicherheit angehen und
  • die Effizienz des Rats stärken.

Er strebt während der Einsitznahme im Sicherheitsrat ein glaubwürdiges schweizerisches Engagement zur gesamten Agenda an.

Ziele im Detail

Im Bereich Friedensförderung will der Bundesrat

  • unter den Staaten Vertrauen schaffen und die Zusammenarbeit fördern,
  • sich für eine wirksame UNO-Friedensförderung, die Menschenrechte, den Schutz von Minderheiten sowie die Teilhabe von Frauen an UNO-Friedensmissionen einsetzen.

Im Bereich Schutz der Zivilbevölkerung in Konflikten will sich der Bundesrat einsetzen für

  • die strikte und umfassende Einhaltung des humanitären Völkerrechts,
  • den Schutz von Kindern, Patienten, Flüchtenden, medizinischem Personal und Einrichtungen, Transporten und kritischer Infrastruktur,
  • die strafrechtliche Verfolgung von Verletzungen des humanitären Völkerrechts,
  • die Einhaltung der Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten,
  • die Ernährungssicherheit in Konfliktregionen.

Im Bereich Klimasicherheit will der Bundesrat

  • Auswirkungen des Klimawandels thematisieren und Lösungsansätze identifizieren,
  • Verbindungen zum Schutz der Zivilbevölkerung, Verminderung des Katastrophenrisikos, Konfliktprävention oder Schutz vor gewalttätigem Extremismus herstellen,
  • bei der Lösungsfindung die Bundesverwaltung, die Wissenschaft und die Zivilgesellschaft einbeziehen.

Im Bereich Effizienz will sich der Bundesrat einsetzen für

  • die Rechtsstaatlichkeit von Sanktionsregimes,
  • eine institutionelle Stärkung der Ombudsperson für UNO-Sanktionen,
  • eine stärkere Verknüpfung der Arbeit der UNO-Standorte, einschliesslich des Standorts Genf und
  • verbesserte Abläufe, Handlungsfähigkeit und Rechenschaftspflicht des Sicherheitsrats.

Stellung des Sicherheitsrats

Unter den sechs UN-Organen verantwortet der Sicherheitsrat gemäss UN-Charta die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit.

Er besteht aus 17 Mitgliedern, davon 5 ständige Mitglieder (USA, Grossbritannien, Frankreich, Russland, China) und 10 nicht-ständige Mitglieder. Die nicht-ständigen Mitglieder werden alle 2 Jahre ausgewechselt, wobei jede der fünf Weltregionen Anspruch auf zwei Sitze hat, für Westeuropa jetzt die Schweiz und Malta.

Der Sicherheitsrat kann Sanktionen erlassen, militärische UN-Friedensmissionen beschliessen, für Kriegsverbrechen internationale Gerichte einsetzen. Er kann militärische Interventionen legitimieren, was in den Fällen Korea (1950), Kuwait (1990) und Libyen (2011) geschehen ist.

Beschlüsse des Sicherheitsrates zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit kommen nur zustande, wenn keines der fünf ständigen Mitglieder dagegen sein Veto erklärt.

Handlungsspielraum

Wenn der Bundesrat auch nur eines seiner hochgesteckten Ziele durch Beschlüsse im Sicherheitsrat erreichen will, muss er die Interessen aller fünf ständigen Mitglieder berücksichtigen.

Seit der russische Diktator Putin in eklatanter Verletzung der UN-Charta 2014 die Krim annektiert hat, ist der Sicherheitsrat blockiert. Daraus resultiert ein sehr geringer Handlungsspielraum für den Bundesrat. Die Drohung des chinesischen Diktators Xi Jinping, Taiwan in Verletzung der UN-Charta unter Gewalteinsatz zu annektieren, engt den Handlungsspielraum weiter ein.

Die Diktatoren werden im Sicherheitsrat keine Resolutionen, geschweige denn Massnahmen, akzeptieren, die gegen ihre Aggressionen gerichtet sind. Sie werden die Blockade des Sicherheitsrats mittels Veto fortsetzen.

Der Sicherheitsrat wird auch 2023/24 seine Instrumente zur Sicherung des Weltfriedens nicht einsetzen können. Er kann keine Sanktionen erlassen, keine militärische Friedensmission beschliessen, kein internationales Gericht für Kriegsverbrechen einsetzen und schon gar keine militärische Intervention gegen Russland oder China legitimieren.

Wie der Bundesrat im Blick auf seine Ziele damit umgehend will, lässt er offen. Voraussichtlich bleibt es im Sicherheitsrat bei Debatten ohne Nutzen für die Erfüllung der Kernaufgabe des Sicherheitsrats nach der UN-Charta: die Sicherung des Weltfriedens.

Die Kriege werden von den Aggressoren fortgesetzt, unbehelligt von der internationalen Gemeinschaft.

Gefahren für den Weltfrieden

Die Aggressionen von Russland und China sind – aller Voraussicht nach – auch in den Jahren 2023/2024 die grösste Gefahr für den Weltfrieden. Putin schliesst in seinem Krieg gegen die Ukraine den Einsatz von nuklearen Raketensprengköpfen nicht aus.

Der Bundesrat verzichtet darauf, sich mit den real drohenden Gefahren für den Weltfrieden auseinander zu setzen, obwohl es dabei um die zentrale Aufgabe des Sicherheitsrates geht und Europa – und damit auch die Schweiz – sehr direkt betroffen sind.

Er will die beiden Verursacher der Gefahrenlage, die Vetomächte Russland und China, nicht benennen.

Er lässt auch offen, auf welchen konkreten früheren Initiativen europäischer Mitglieder des Sicherheitsrates er aufbauen und inwiefern er mit dem EU-Mitglied Malta zusammenarbeiten will.

Der Krieg Putins gegen die Ukraine betrifft unmittelbar die Sicherheitsinteressen Europas. Dementsprechend auch sehr direkt Schweizer Werte und Interessen, die der Bundesrat im UN-Sicherheitsrat zu vertreten will.

Die Schweiz und Malta stehen als einzige europäische Mitglieder des Rates in der gegenwärtigen Gefahrenlage in der Pflicht, im Sicherheitsrat die Sicherheitsinteressen der europäischen Bevölkerung zu vertreten.

Debatte zur Glaubwürdigkeit des Sicherheitsrates

Wenn zwei ständige Mitglieder der Sicherheitsrates, Russland und China, mit der UN-Charta auf Kollisionskurs gehen, eine wirksame UN-Friedensförderung verunmöglichen und selber schwere Menschenrechtsverletzungen begehen, ist die Glaubwürdigkeit und Funktionsfähigkeit des Sicherheitsrates als Wahrer des Weltfriedens auf Schwerste angeschlagen.

Diese Thematik sollte die Schweiz, zusammen mit andern nicht-ständigen Mitgliedern, deutlich öffentlich ansprechen und in die UN-Generalversammlung bringen.

Zumindest müsste verlangt werden, dass das Vetorecht eines ständigen Mitglieds suspendiert ist, solange es einen andern UN-Mitgliedstaat militärisch auf dessen Territorium angreift.

Nach Artikel 10 der UN-Charta kann die Generalversammlung über das Funktionieren des Sicherheitsrats debattieren und dazu Resolutionen beschliessen.

03.10.2022

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